Beitrag im Schweinfurter Tagblatt am 16. Aug. 2012 von Herbert Götz.
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Schweinfurt - Marlene Walter ist 66 Jahre alt und feierte kürzlich ihren zehnten Geburtstag. Im Juni 2002 begann ihr neues Leben, ohne Zwangstermine, ohne Maschinen. Sie konnte endlich wieder essen und trinken, was ihr schmeckt. Im Juni 2002 erhielt Marlene Walter eine neue Niere. Marlene Walter war 45, als ihr Leidensweg begann.
Glückwunsch: Hannelore Seitz (Vorsitzende der IG-Niere) und Marlene Walter stoßen auf den zehnten Geburtstag an. Foto: Herbert Götz
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Sie selbst hatte noch keine Beschwerden, aber ihre Geschwister erkrankten kurz nacheinander an einem Nierenleiden und mussten zur Dialyse. Die niederschmetternde Diagnose lautete „erblich, genetisch bedingt.“ Eine Untersuchung bestätigte, dass auch sie diesem Schicksal kaum würde entrinnen können. Ab dem 50. Lebensjahr verschlechterten sich ihre Werte rapide. Drei Jahre lang konnten die Ärzte noch mit Medikamenten gegensteuern, 1999 begann die Dialyse. „Damit änderte sich mein Leben von heute auf morgen komplett“, sagt Marlene Walter und ihre fest und optimistisch klingende Stimme schwankt verdächtig.
Dreimal pro Woche lag sie stundenlang an das Gerät angeschlossen, mehr oder weniger zum Nichtstun verdammt. „Ich konnte etwas lesen, mich vielleicht mit dem Nachbarn unterhalten, aber das war es auch.“ Alles richtet sich nach diesen Terminen, dazu kommt, dass die Patienten in den Stunden nach der Dialyse körperlich sehr schwach sind. Genaueste Buchführung über die Aufnahme von Flüssigkeiten ist Pflicht, auch die in Speisen enthaltenen Flüssigkeiten müssen mit berechnet werden. Dass beim Essen strenge Diät gehalten werden muss, erwähnt Marlene Walter nur am Rand. Sport? Geht nicht. Freizeit? Eingeschränkt. Urlaub? Mit genauer Planung möglich, es gibt in den Haupturlaubsgebieten Dialysestationen.
Vor der ersten Dialyse wird ein sogenannter Shunt eingesetzt. „Damit werden Arterien und Venen gekoppelt“, erläutert Hannelore Seitz, Vorsitzende der Interessengemeinschaft Niere, der auch Marlene Walter angehört. Dieser „Shunt“ wird bei Rechtshändern im linken Arm gesetzt und umgekehrt. Das Problem ist, dass dieser Zugang nur eine gewisse Zeit genutzt werden kann, dann werden die Adern durch die permanente Überlastung bei der Blutwäsche brüchig, ein neuer Shunt muss gesetzt werden. Nicht selten führt der ständige Druck dazu, dass sich die Adern weiten und sich auf Armen und Beinen regelrechte Beulen bilden.
Marlene Walter hatte Glück im Unglück, drei Jahre hing sie an der Dialyse, konnte dank ihrer guten Konstitution sogar etwas Sport treiben. Sie habe da eine Art Liegefahrrad gehabt und konnte etwas treten. Sie hat sich viel mit ihrer Krankheit beschäftigt, immer wieder mit Ärzten und anderen Betroffenen gesprochen. „Vor allem in der ersten Zeit ist man zu kaum etwas anderem fähig, die Dialyse belastet doch sehr“, sagt sie. Mal geht der Blutdruck hoch, mal fällt er ins Bodenlose. Wird die Dialyse zu schnell durchgeführt, reagiert der Körper mit Krämpfen.
Dialysepatienten leben in der Abhängigkeit vom Telefon. Über eine bevorstehende Transplantation wird telefonisch informiert, meist am Vorabend. Bei Marlene Walter war es der 29. Juni 2002. Mit Ehemann und Tochter hat sie diesen Moment schon tausendmal durchgespielt, nach dem Anruf waren alle sprachlos vor Freude und Aufregung. Alles ging glatt, nach drei Wochen wurde sie entlassen, musste sechs Monate lang noch alle zwei Tage zur Kontrolle und in den ersten Wochen äußerste Hygienevorschriften beachten. Medikamente muss sie ihr Leben lang einnehmen, vor allem, um die natürliche Abstoßreaktion des Körpers gegen das fremde Organ zu unterdrücken. Diese Medikamente sind heute wesentlich verträglicher, die Dosierungen geringer.
„Dialysezeit kostet Lebenszeit“, bringt Marlene Walter die Dinge an ihrem „zehnten“ Geburtstag auf den Punkt. Jetzt fühlt sie sich wieder wunderbar, kann reisen, essen und trinken nach Herzenslust und unbeschwert am sozialen Leben teilhaben. Den Leuten, die mit Organhandel die lebensrettende Transplantation in Misskredit bringen, möchte sie an den Kragen, aber sie ist überzeugt, wenn mehr Menschen zur Organspende bereit wären, hätten es solche Leute viel, viel schwerer.